Kinotagebuch: Kein Tier. So Wild. (2025) - Kubrick im Clanmilieu
Macht, Reichtum, Tod und Verderben – vier Seiten derselben Medaille

Mich hat dieser Brecher von Film absolut gepackt mit dieser sprachlichen Kompromisslosigkeit im überlebensgroßen Dialog und der selbstbewussten Selbstverständlichkeit in den Bildern, die zunächst in einem realistischen Szenenbild geerdet vom Mut der Überzeichnung zehren, bis Burhan Qurbani diese Welt auch visuell aufbrechen lässt und dekonstruiert.
Die für mich interessante Ebene des Films, die im produktivsten Sinne für Reibung sorgt, ist die vielschichtige Betrachtung des Patriarchats. Die großartig von Kenda Hmeidan gespielte Rashida York scheint zunächst durch das Verlangen, sich ihrer Unterdrücker zu entledigen, motiviert. Doch Einfluss, Reichtum und Macht korrumpieren sie und sie wird selbst zu einem dieser Menschen, die sie vermeintlich ausradieren wollte.
Das zeigt: Auch wer als Frau im Patriarchat an eine Machtposition kommt, lässt das Patriarchat nicht hinter sich, sondern trägt weiter zu dessen Verstetigung bei, wenn die Systemfrage nicht gestellt wird. Am Ende gewinnt ausschließlich das System, der Mahlstrom.

Worüber sich diskutieren und spekulieren lässt: Ist Rashida bereits von Kind an von Macht und Reichtum korrumpiert und wird es nicht erst im Zuge ihres blutigen Aufstiegs innerhalb der Familie? Hatte sie überhaupt jemals eine Chance? Qurbani zeigt zu Beginn in einer „Der Anfang vor dem Anfang" betitelten Sequenz die junge Rashida, die sich noch im Nahen Osten mit einer Gruppe anderer Mädchen um einen goldenen Reif streitet und den letztlich siegreich in die Höhe streckt. In diesem Moment sind herannahende Jets zu hören, die Mädchen rennen weg und zurück bleibt Rashida, die alleine dabei zusehen muss, wie ihr Dorf durch Bomben in Schutt und Asche gelegt wird.
Das Szenenbild, der erbitterte Kampf und dieses eine Objekt, das Hereinbrechen einer tödlichen Waffe in diese Sequenz – das ist extrem nah dran an Kubricks 2001: A SPACE ODYSSEY und dessen „The Dawn of Man"-Eröffnung. Die gipfelt im legendären Match Cut vom Gegenstand des erbitterten Streits, einem Knochen, hin zu einem Satelliten – einer ambivalenten technologischen Entwicklung, die für wissenschaftlichen und militärischen Fortschritt gleichermaßen steht.
Bei Qurbani vollzieht sich dieser Match Cut nicht direkt visuell, sondern findet eher auf einer thematischen Ebene statt: Wer nach Macht und Reichtum strebt, wird nur Tod und Verderben ernten. Es erscheint fast synonym.
★★★★☆
